Die Arbeiterbewegung. Und die Idee vom Sozialismus

Die Ereignisse des November 1918 hatten eine Vorgeschichte, in der die revolutionäre Bewegung „herangereift“ war. Die Revolution war nicht nur spontane Revolte. In verschiedenen Gruppen und Organisationsformen, vor Ort aber auch überregional und international, tauschte man sich aus, analysierte die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse und unterstützte sich.

Die Revolutionäre begriffen ihre Tätigkeit durchaus auf der Basis sozialdemokratischer Traditionen, wie sie vor dem Ersten Weltkrieg bestanden. Grundlage hierfür bildete das auf dem Parteitag der SPD verabschiedete Erfurter Programm von 1891. Der Arbeiterbewegung war es gelungen, gestärkt aus der staatlichen Unterdrückung und gesellschaftlichen Ausgrenzung im Kaiserreich hervorzugehen. Unter dem 1878 verhängten „Sozialistengesetz“ waren zwölf Jahre lang sozialistische Vereine, Versammlungen und Druckschriften verboten gewesen, SozialdemokratInnen wurden polizeilich verfolgt, mit Gefängnisstrafen belegt oder aus ihren Wohnorten ausgewiesen. Die staatlichen Verfolgungen hatten die sozialdemokratische Arbeiterbewegung um so mehr in eine verstärkte Gegnerschaft zum politischen und gesellschaftlichen System gebracht.

In Braunschweig hatte die SPD um die Jahrhundertwende rund 500 Mitglieder, im Jahr 1914 waren es bereits über 11.000 zahlende Mitglieder, davon 9.374 Männer und 1.613 Frauen. Zum Vergleich: die Einwohnerzahl in Braunschweig lag bei rund 145.000 Menschen. Die unterschiedliche Haltung zum Krieg führte aber zur Spaltung der SPD. 1917 schlossen die Kriegsunterstützer in der SPD die Kriegsgegner aus der Partei aus. Diese gründeten die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschland USPD. Braunschweig galt bald als Hochburg der USPD.

Der „Volksfreund“
Der wesentliche Zugang für ArbeiterInnen zu Informationen und Meinungen über das gesellschaftliche und politische Tagesgeschehen war die Arbeiterpresse. Dort fanden sie sich mit ihren alltäglichen Problemen, den erfahrenen Ungerechtigkeiten und Benachteiligungen wieder.

Das wichtigste Blatt war in Braunschweig der von Wilhelm Bracke 1871 gegründete „Braunschweiger Volksfreund“, den im Jahr 1880 bis zu 2.700 Abonnenten als sozialdemokratisches Wochenblatt bezogen.
Bis 1906 stieg die Abonnentenzahl des Parteiorgans auf 7.442 an. 1907 wurde die Zeitung in „Volksfreund“ umbenannt. Bis zum Beginn des Ersten Weltkriegs stieg die Auflage auf 16.000 Exemplare an.

In den Jahren 1913/1914 entstand Ecke Ölschlägern und Schloßstraße für den „Volksfreund“ ein eigenes Haus. Untergebracht waren in dem Gebäude die Redaktion und die Druckerei, sämtliche Gewerkschaften, die SPD und ein Jugendheim für den Bildungsverein. Das Heim bestand aus drei großen, hellen Räumen, einer Küche und einer Garderobe. Der Volksfreund gehörte während des Ersten Weltkriegs ab 1915 zu den wenigen sozialdemokratischen Zeitungen, in denen die Gegner des Krieges und der Burgfriedenspolitik zu Wort kamen. Die Redaktion setzte sich im Verlauf des Krieges zunehmend  kritischer und radikaler mit der Politik des Kaiserreichs und den Verhältnissen im Herzogtum auseinander.

Die sozialistische Jugendbewegung
1904 gründete sich in Berlin der „Verein der Lehrlinge und jugendlichen Arbeiter“. Der äußere Anlass zur Gründung war der Selbstmord eines elternlosen Lehrlings, der durch die schweren Mißhandlungen seines „Lehrherrn“ in den Tode getrieben wurde. Der 16-jährige Lehrling hatte sich Anfang Juni 1904 im Grunewald erhängt. Beim Auffinden der Leiche wies der Körper Spuren rohester Misshandlung auf.
Die Verhältnisse, unter denen die arbeitenden Jugendlichen damals leben mussten, waren brutale Ausbeutung. Zehn- bis zwölfstündige Arbeitszeit täglich, Misshandlungen und völlige Rechtlosigkeit.

1907 fand unter dem Einfluss des Internationalen Sozialistenkongresses die „Gründungskonferenz der sozialistischen Jugendinternationale“ statt. Präsident dieser Konferenz war Karl Liebknecht. Als Hauptaufgaben der sozialistischen Jugendbewegung wurden benannt: der Kampf gegen den Militarismus, die Forderung einer sozialistischen Erziehungs und Bildungsarbeit und des wirtschaftlichen Schutzes der Lehrlinge und jugendlichen Arbeiter.

Auch in Braunschweig entstand 1907 mit dem „Bildungsverein jugendlicher Arbeiter“ eine organisierte Jugendbewegung. Am 30. Januar 1909 fand im Saal des Gewerkschaftshauses die erste öffentliche Jugendversammlung statt. Referent war der Volksfreundredakteur Richard Wagner. Durch Flugblätter und den „Volksfreund“ wurde die Versammlung publik gemacht. Über 500 Jugendliche waren erschienen. An
diesem Abend traten mehr als 200 Jugendliche dem Bildungsverein bei. Das neue Reichsvereinsgesetz brachte 1908 insofern eine Verschlechterung, als jetzt auch unpolitische Organisationen bei ihrer öffentlichen Arbeit polizeilich überwacht werden konnten.

Aus den Erinnerungen von Robert Gehrke, einem Gründungsmitglied des Vereins:
„Zu jedem Ausflug, zu jeder von uns angesetzten öffentlichen Jugendversammlung erschienen jetzt zwei Polizeibeamte zur Überwachung. Bei den Ausflügen hatten wir bald heraus, dass wir die Polizei mit ihren eigenen Waffen schlagen konnten. Im alten Herzogtum Braunschweig bestand die Vorschrift, dass die Stadtbraunschweiger Polizisten nur im Gebiet der Stadt selbst zuständig waren. Für den Landkreis Braunschweig war die Landgendarmerie zuständig. Die Grenzen des Stadtgebietes aber waren uns bekannt. Sie verliefen am Bienroder Weg, an der Teerfabrik von Schacht. Das Gebiet des heutigen Siegfriedviertels wie die Schuntersiedlung war damals noch nicht bebaut. Es gehörte zum Landkreis Braunschweig, Polizisten nicht. Bei den Jugendlichen gab es jedes mal schmunzelnde Gesichter, wenn wir uns hinter der Teerfabrik formierten und sahen die Polizei tatenlos stehen bleiben. Ehe ein Gendarm aus Querum angefordert war und uns entgegenkam, waren wir meistens im Walde verschwunden.
Als wir Jugendlichen am 1. Mai 1916 aus der Parteiversammlung der SPD im „Wilhelmsgarten“ von der Polizei hinausgewiesen wurden, (…) zogen wir in zwanglosen Gruppen zur Teerfabrik, formierten uns, ließen unsere Polizeibegleitung zurück und zogen mit Gesang zur Schunterbrücke. Dort hielten wir unbelästigt von Polizei und Gendarmerie unsere Streikversammlung ab und fassten die notwendigen Beschlüsse zur Abwehr des vom Militärkommando erlassenen Sparzwanges.“

Der Bildungsverein war eine selbständige Organisation, der mit Hilfe der SPD ins Leben gerufen wurde, jedoch sehr bald eine der treibenden Kräfte im politischen Braunschweig wurde, spätestens nach dem erfolgreichen Sparzwang-Streik 1916.

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Erster Weltkrieg, Ein „Menschenschlachthaus“

Der Erste Weltkrieg begann Anfang August 1914, nachdem bereits seit Jahren mehrmals der Beginn militärischer Konflikte zwischen Deutschland und den europäischen Großmächten drohte. Es ging dabei letztendlich um weltpolitische Einflussnahme und politische und wirtschaftliche Machtansprüche der Nationalstaaten.
Kaiser Wilhelm II. hatte den Krieg an Russland und an Frankreich erklärt, aber er brauchte vom Reichstag die Bewilligung zu Kriegskrediten, um den Krieg zu finanzieren.


Burgfriedenspolitik
„Wir Sozialdemokraten wissen sehr wohl, dass der Weltfriede eine Utopie bleibt, solange die kapitalistische Wirtschaftsordnung nicht abgeschafft ist.“ (Rosa Luxemburg, 1911)

Der Kampf für den Frieden und gegen den drohenden Krieg bildete ein Kernthema der Sozialdemokratie im beginnenden 20. Jahrhundert. Auf einem außerordentlichen Sozialistenkongress der II. Internationale im November 1912 in Basel kamen 555 Delegierte aus 23 Ländern zusammen und erhielten weltweit Aufsehen in der Öffentlichkeit mit ihrem Ausruf: „Gegen den Krieg!“. Vertreter der SPD forderten dazu auf, falls es dennoch zum Krieg kommen sollte, „die durch den Krieg herbeigeführte wirtschaftliche und politische Krise zur Aufrüttelung des Volkes auszunutzen und dadurch die Beseitigung der kapitalistischen Klassenherrschaft zu beschleunigen“ (aus dem Protokoll des SPD-Parteitages in Jena 1913).
Nur wenige Tage vor der Mobilmachung des Deutschen Reiches auf kaiserlichen Befehl hatte die SPD – auch in Braunschweig – noch Massendemonstrationen für den Frieden abgehalten und zum Widerstand gegen den Krieg aufgerufen.
Am 04.08.1914 fand die Reichstagssitzung zur Bewilligung der Kriegskredite statt. Die SPD war stärkste Fraktion.

Die SPD-Fraktion stimmte den Kriegskrediten zu – ein Schock für viele sozialdemokratische Anhänger. Führende Sozialdemokraten erhofften sich als Gegenleistung für ihre „patriotische Zuverlässigkeit“ eine größere Anerkennung ihrer Partei durch den Kaiser und die Gewährung von mehr Demokratie, insbesondere die lange geforderte Abschaffung des preußischen Dreiklassenwahlrechts und umfangreichere parlamentarische Befugnisse für den Reichstag. Innerhalb der SPD-Fraktion hatten die Kriegsbefürworter die Mehrheit erlangt und die erklärten Kriegsgegner beugten sich der Fraktionsdisziplin.
Große Teile der Bevölkerung und Politik glaubten auch der Propaganda, es würde sich um einen Krieg zur Verteidigung Deutschlands handeln. Die Führer der Arbeiterbewegung hatten sich damit auf einen „Burgfrieden“ eingelassen: alle bisherigen Konflikte wurden zurückgestellt, um gemeinsam das Vaterland zu verteidigen.
Auch die Gewerkschaften verfolgten diese Linie: Schon am 02.08.1914 beschlossen sie, für die Dauer des Krieges alle Lohnkämpfe abzubrechen bzw. zu vermeiden sowie für den Fall von Streiks den Streikenden jede Streikunterstützung zu versagen.


Opposition gegen den Krieg und Spaltung der SPD
Bei weiteren Kriegskrediten verweigerten die Kriegsgegner ihre Zustimmung im Reichstag. Karl Liebknecht wurde daraufhin aus der SPD-Fraktion ausgeschlossen. Die Kriegsgegner wurden nicht nur von der Staatsgewalt verfolgt und verhaftet, sondern auch von den sozialdemokratischen Kriegsbefürwortern ausgegrenzt. In Braunschweig waren insbesondere die Jugendlichen des 1907 gegründeten „Bildungsvereins jugendlicher Arbeiterinnen und Arbeiter“ aktiv
gegen den Krieg.
Im ganzen Reich schlug 1916 die Stimmung um, als die Auswirkungen des Krieges deutlicher wurden. Die Protestbereitschaft wuchs.

Die unterschiedliche Haltung zum Krieg führte schließlich zur Spaltung der SPD und neuen Gruppierungen.
Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg gaben illegal eine Zeitschrift heraus und gründeten die Gruppe „Spartakus“. Die Gründung einer Braunschweiger Spartakusgruppe erfolgte Anfang 1916 im Filmspielhaus Wendenstraße mit rund 500 Mitgliedern. Vorstandsmitglieder waren August Merges, Rudolf Sachs und Robert Gehrke. Bis Ende 1918 war die Gruppe in Braunschweig auf rund 1.000 Mitglieder angewachsen.
1917 schlossen die Kriegsunterstützer in der SPD die Kriegsgegner aus der Partei aus. Diese gründeten die Unabhängige Sozialdemokratische Partei Deutschland USPD. Braunschweig galt bald als Hochburg der USPD.
Der Braunschweiger „Volksfreund“ hatte sich mit Beginn des Krieges auch auf die Seite der Befürworter begeben. Ab 1915 vertrat er aber wieder die Auffassungen der Opposition und kritisierte die Politik des Burgfriedens.
Darüber hinaus wurde publik gemacht, wie Rüstungsbetriebe wie Büssing, Amme/Giesecke/Konegen und Jüdel und die Konservenindustrie mit dem Krieg ihre Gewinne steigerten.


Der Krieg
Der Erste Weltkrieg wurde zu einem „Menschenschlachthaus“ – so der Titel eines Buches von 1912, in dem der Schriftsteller und Lehrer Wilhelm Lamszus „Bilder vom kommenden Krieg“ beschrieb. Es zeigt, wie vorhersehbar der Krieg gewesen war. Dabei ist das Ausmaß an menschlichem Leid, Entbehrungen, zerstörten Lebensentwürfen sowie des Sterbens durch Kriegshandlungen und Hunger bis heute schwer fassbar.

Rund 40 Staaten nahmen direkt oder indirekt teil. 60 Millionen junge Männer wurden Soldaten, allein im Deutschen Reich waren es 13 Millionen, von denen mehr als 2 Millionen gefallen sind. Die skrupellose Kriegsführung widersprach den Grundsätzen der Haager Landkriegsordnung. Die von vorn herein beabsichtigte Missachtung der belgischen Neutralität, die Gewalt gegen Kriegsgefangene und Zivilisten, der Einsatz von Giftgas sowie die gegen deutsche Zivilisten gerichtete alliierte Seeblockade als Antwort auf den uneingeschränkten U-Boot- Krieg durch Deutschland offenbarten einen „totalen“ Krieg, in den nicht nur Soldaten, sondern auch die gesamte Bevölkerung der am Konflikt beteiligten Gesellschaften einbezogen wurden. Es war der erste Krieg in der Menschheitsgeschichte, der nicht mehr Mensch gegen Mensch, sondern industriell aus der Luft und unter Wasser geführt wurde.

Die Pressezensur in Deutschland verhinderte ab 1915 eine realistische Berichterstattung sowohl über den Krieg als auch über die Zustände zuhause.
In den Fabriken führten die Einberufungen zu einem Mangel an Arbeitskräften. Überstunden, Nacht-, Akkord- und Sonntagsarbeit wurden in der Rüstungsindustrie zur Regel. Im Verlauf des Krieges stieg die Zahl der in der Industrie arbeitenden Frauen um 50 Prozent an.
Gleichzeitig verschlechterte sich die Versorgungslage monatlich. In der Illusion eines schnellen Sieges waren die normalen Nahrungsmittelvorräte bereits in den ersten Kriegsmonaten verbraucht. Im Sommer 1917 hatten die zugeteilten Lebensmittel nur etwa 1000 Kalorien pro Tag, 2280 wurden als Minimum angesehen. Ab Winter 1916/17 litten immer mehr Menschen aufgrund der mangelhaften  Nahrungsmittelversorgung an Unter- und Fehlernährung. Während des Ersten Weltkriegs starben in Deutschland rund 750.000 Menschen an Unterernährung und an deren Folgen (Anfälligkeit für Tuberkulose, „Blutarmut“ vor allem bei Kindern und andere Krankheiten).
Bei Kriegsende waren rund 3 Millionen physisch und psychisch versehrte Veteranen nach Deutschland zurückgekommen.


Das Ende des Krieges und die Revolution
Im Herbst 1918 wurde offensichtlich, dass die deutsche Armee den Krieg nicht mehr gewinnen würde. Nach einem Befehl der deutsche Marineführung vom 24.10.1918, der zu einer Entscheidungsschlacht mit der britischen Flotte führen sollte, kam es zur massenhaften Gehorsamsverweigerung von Matrosen in Wilhelmshaven und Kiel. Der Matrosenaufstand wurde zum Ausgangspunkt der Novemberrevolution.

„Zur gleichen Zeit machten sich Tausende blau gekleidete deutsche Matrosen mit roten Fahnen in grünen Zügen auf den Weg von den Küstenstädten, die sie in einer Revolte in ihre Gewalt gebracht hatten, in alle Winkel des Reiches und verbreiteten in Windeseile ihre Botschaft: „Nieder mit dem Krieg, nieder mit dem Kaiser!“
(Klaus Gietinger)

Am 07.11.1918 trafen Matrosen aus Kiel am Braunschweiger Hauptbahnhof ein. Die Braunschweiger Revolutionäre riefen für den Folgetag den Generalstreik aus. Arbeiter und Soldaten taten sich zusammen.

Der Krieg war zu Ende. Um die Braunschweiger Bevölkerung rechtzeitig über die Ankunft größerer Truppenverbände zu informieren, beschloss der Arbeiter- und Soldatenrat, „1 ½ Stunden vor Ankunft (…) sämtliche Glocken der Stadt 10 Minuten lang läuten zu lassen.“

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03. November 1918

Die MSPD organisierte im Wilhelmsgarten eine Veranstaltung, auf der der Reichstagsabgeordnete Gustav Noske (MSPD) zu den Versammelten über das „neue Deutschland“ sprach, indem er eine Demokratisierung durch eine neue Verfassung, die grundlegende Reformierung des Wahlrechts und die Errichtung eines Strafgerichtshofs, um die für den Krieg Verantwortlichen anzuklagen, in Aussicht stellte, im weiteren ebenso gegen das „bolschewistische Chaos durch Entfesselung des Bürgerkrieges“ Stellung nahm. Außerdem müsste der Kaiser zurücktreten (BLZ 03.11.1918). (Unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Berlin ließ ihn Ebert am Tag darauf nach Kiel reisen, um den Matrosenaufstand unter Kontrolle zu bringen).

Die USPD organisierte am selben Tag (03.11.) eine Versammlung auf dem Leonhardplatz, auf der der gerade aus der Haft entlassene Reichstagsabgeordnete Karl Liebknecht (USPD und Spartakusmitglied) sprechen sollte. Aufgrund der Ereignisse in Kiel reiste Liebknecht zur Marinestadt, so dass war August Merges als Sprecher der USPD / Spartakus auftrat. Merges verkündete vor mehreren tausend Zuhöhrern, dass die „Übernahme der Macht durch die Klasse der Werktätigen“ unmittelbar bevorstünde und fügte hinzu: “Vielleicht in den nächsten Tagen wird man euch wieder gebrauchen. (zit.n. Bein, Herzgtm, 238)

Augenzeugenbericht:

„Und 8 Tage bevor es hier losging, den Sonntag zuvor, das muss ich noch erzählen. Das war auch sehr schön. Da kam also eines Abends August Merges zu mir, ich weiß nicht mehr wo wir uns getroffen haben, – sagt der: du musst morgen früh um 9 Uhr, da musst du auf der Kuhstraße sein bei dem Pferdehändler da. Ja, ist gut. Wurde nicht gefragt: warum? weshalb? wieso? Da war irgendwas im Busch. Komme da hin; August Merges ist schon da. Und da verhandelt der schon mit dem Pferdehändler, dass er einen Breakwagen [Kutschenart] kriegt und ’nen Gaul davor. Also da sollte dann die große Versammlung, die öffentliche Versammlung auf dem Leonhardtsplatz steigen. Da sollte auch Karl Liebknecht sprechen. Und August zu mir: du setzt dich jetzt auf den Kutschbock und fährst mich nach dem Leonhardtsplatz. Der Breakwagen, der sollte nämlich die Rednertribüne werden. Ich sage: Mensch August! Ich habe noch nie Pferdezügel in der Hand gehabt. Setz dich man da drauf. Der Pferdehändler: ach, das ist ein treues Tier, da können Sie ruhig mit losfahren; rechts und links kennen Sie ja, nicht wahr, dann ziehen Sie rechts oder links, wo er hin soll. Ist gut. (…) Wir kamen dann von der Kastanienallee über Altewiekring zum Leonhardsplatz: eine Riesenmenschenmenge da. Oh, sagt August, sind ja ein paar Leute da. Aber leider – Robert Gehrke, der funktionierte damals als Kurier immer zwischen Berlin und Braunschweig vom Spartakusbund. Der kam mit dem Bescheid, dass also Karl Liebknecht nicht kommen kann, weil er dringend in Berlin gebraucht wird. Wir hatten Verständnis dafür. Das war natürlich ein bißchen enttäuschend für die Versammlungsteilnehmer, aber es wurde ihnen dann erklärt. Na ja, sie waren zufrieden und dann hat August Merges referiert. Und das war der eigentliche Auftakt; also die Bereitschaft, diese kommenden Ereignisse nun als gegeben zu betrachten, das war gut für uns, für die ganze Stimmung. Die wussten also, das muss jetzt irgendwie vorbei sein.“

Wilhelm Hillger (in: Braunschweig 1918. Illustrierte Zeitung zur Geschichte der Braunschweiger Arbeiterbewegung, HBK 1978)