„Heraus mit dem Frauenwahlrecht“

Die Lebensbedingungen der Frauen
Mit der Industrialisierung begannen sich die Lebensbedingungen der Frauen zu ändern.
Für das Herzogtum Braunschweig galt:
Die Anzahl der erwerbstätigen Frauen hatte sich zwischen 1875 und 1907 fast verdoppelt, und zwar von rund 33.000 auf 60.000. Die Hälfte von ihnen war noch in der Agrarwirtschaft tätig, während der Anteil der Frauen, die in einem Fabrikbetrieb arbeiteten rund ein Viertel betrug. Mehr als 86 Prozent der erwerbstätigen Frauen waren Arbeiterinnen. Von den Industriearbeiterinnen arbeiteten die meisten in den Betrieben der Nahrungsmittel- und Textilbranche.
Die Arbeitszeit betrug bis zu 13 Stunden täglich, und ihre Arbeit wurde geringer entlohnt als die von männlichen Arbeitern.

Typisch für Frauenarbeit war auch die Heimarbeit, zum Beispiel als Zuarbeit zur Konservenindustrie, sowie die Arbeit als Dienstmädchen.

Ein Fünftel der um 1900 in Deutschland registrierten weiblichen Erwerbstätigen waren als Dienstmädchen beschäftigt. Die „Gesindeordnung“ regelte Pflichten und Rechte zwischen Herrschaft (Arbeitgeber) und Gesinde (Arbeitnehmer). Die Arbeitskraft der Dienstboten hatte der Herrschaft vollständig zur Verfügung zu stehen. Nur ein Teil des Lohns wurde ausgezahlt, der übrige Lohn wurde in Naturalien, insbesondere Kost und Logis, erbracht. Die Frauenkonferenz 1907 beschäftigte sich mit der Lage dieser „besonders ausgebeuteten und unterdrückten Kategorie von Lohnsklavinnen“. Im Zuge der Novemberrevolution wurden die Gesindeordnungen außer Kraft gesetzt.

Während des Krieges wurden Frauen Aufgaben in sozialen Bereichen und in den Lazaretten zugewiesen. 1914 hatte sich in Braunschweig aus dem Verband der Frauenvereine der Nationale Frauendienst (NFD) gegründet. Zweck war die wichtige und notwendige Fürsorge und Hilfe für Frauen in der Zeit des Krieges:
Hilfe bei der Lebensmittelversorgung, Spendensammlungen, Arbeitsvermittlung für Frauen. Die meisten Mitglieder stammten aus bürgerlichen Schichten, eine Mitstreiterin aus der Arbeiterschaft war Minna Faßhauer. 1916 wurde Minna Faßhauer durch die Vorsitzende Hedwig Götze aus dem NFD ausgeschlossen. Sie hatte sich öffentlich an die Seite derjenigen ihrer Parteigenossen gestellt, die weitere Kriegskredite im Reichstag ablehnten. Nun wurde sie „nicht mehr als geeignete Persönlichkeit“ angesehen, sich in der Familienfürsorge zu engagieren. Ihr Standpunkt gegen die Bewilligung der Kriegskredite sei eine „Störung des Burgfriedens“.

Während des Krieges arbeiteten etwa 4 Millionen Frauen in der Kriegswirtschaft. Sie ersetzten die Männer, die an der Front kämpften oder gefallen waren, und brauchten die Arbeit, um die Familie zu ernähren.

Verbot politischer Betätigung
Frauen und Jugendlichen war sowohl die Mitgliedschaft in politischen Vereinen als auch die Teilnahme an politischen Veranstaltungen gesetzlich verboten.
„§ 8 Politischen Vereinen ist die Aufnahme von Frauenspersonen, Geisteskranken, Schülern, Lehrlingen verboten. Auch dürfen solche Personen nicht an Veranstaltungen und Sitzungen teilnehmen, bei denen politische Gegenstände behandelt werden.“
Preußisches Vereins- und Versammlungsrecht von 1850
1907 gründete sich in Braunschweig der „Bildungsverein jugendlicher Arbeiterinnen und Arbeiter“. Hier organisierten sich Jugendliche und Frauen. Auch Minna Faßhauer war hier aktiv wie auch viele andere
der späteren Revolutionäre. Aus dem Kreis dieses Bildungsvereins entstanden zahlreiche Protestaktionen und Streiks während der folgenden Jahre.

1908 wurde ein neues Reichsvereinsgesetz verabschiedet – ein Fortschritt für die Frauenbewegung, denn es ermöglichte ihnen erstmals, politischen Vereinigungen beizutreten. Die Frauen forderten von ihren Organisationen die Einrichtung von Frauenversammlungen, in denen sie selbst öffentlich diskutieren, ihre Lage besprechen und Forderungen formulieren konnten. Die zentrale Forderung wurde die nach dem Frauenwahlrecht.

Die Novemberrevolution war eng verknüpft mit dem Engagement von Frauen und mit den Forderungen nach Gleichberechtigung auf allen Gebieten des öffentlichen Lebens.

Weiter zu: Der Streit um die Volksbildung, Teil 1