Was bleibt – eine neue Gesellschaft
Endlich Frieden. Endlich Republik. Die Revolution hatte sich gegen Fürsten und Pfaffen aufgestellt, um die Aufklärung endlich zu Ende zu bringen. Alle dürfen mit gleicher Stimme wählen, zum ersten Mal auch die Frauen. Das Parlament hat die Macht. Das Volk ist souverän. Der kirchliche Einfluss auf die Bildung wird eingeschränkt.
Und wie hart auch die alltäglichen Bedingungen des Lebens sind in einer Gesellschaft, die die gesamten Ressourcen in den Krieg gesteckt hatte, so wird doch das Fundament eines neuen Staates, mit sozialer Orientierung, gelegt.
„Nie wieder Krieg!“
Das wichtigste Ergebnis der Novemberrevolution war der Frieden, zu dem die Massenstreiks 1917 /1918 einen entscheidenden Beitrag geleistet hatten. Am 9. November 1918 siegte in erster Linie eine Revolution gegen Militarismus und Krieg, gegen das Morden draußen an den Fronten und gegen den Terror der Militärjustiz in der Heimat.
Sturz der Monarchie
Die Revolution stürzte den deutschen Kaiser und preußischen König sowie die monarchischen Oberhäupter aller anderen deutschen Bundesstaaten, 22 Herzöge, Fürsten, Adlige mussten gehen. Zum ersten Mal betrat eine demokratisch verfasste deutsche Republik die Bühne der Weltgeschichte.
Die Monarchen, abgedankt, bei Nacht und Nebel geflohen ins Exil, sahen den Sieg der Novemberrevolution logischerweise anders: „Das deutsche Volk liegt auf dem Misthaufen, wo es stinkend vermodert.“ Im Übrigen sei der Deutsche nur brauchbar unter einer harten Hand, die auch die Peitsche zu schwingen verstehe, so einer der Ex-Herzöge. Diese Geisteshaltung war nicht so schnell zu zerstören.
Die Verfassung der Deutschen Republik
Am 31.07.1919 nimmt die Nationalversammlung in Weimar mit 262 Ja-Stimmen die Verfassung der Deutschen Republik an, 75 stimmten mit Nein, 84 Abgeordnete waren nicht anwesend. Für die Arbeiterschaft bedeutet sie gegenüber der kaiserlichen Verfassung von 1871 mit einer Anzahl demokratischer Rechte einen deutlichen Fortschritt.
Mit der Revolution erkämpfte sie sich:
• das allgemeine, geheime und gleiche Verhältniswahlrecht
• das Wahlrecht der Frauen
• die Unverletzlichkeit der Person und der Wohnung
• Gleichheit aller Bürger vor dem Gesetz
• die Gleichstellung der Frau
• gleiche Bildungsmöglichkeiten für alle
• Rede-, Versammlungs- und Koalitionsfreiheit
• die Pressefreiheit und damit die Aufhebung der Zensur
Glaubens- und Gewissensfreiheit werden garantiert, die Staatskirche abgeschafft. Am kapitalistischen Charakter der Gesellschaft ändert die Verfassung nichts, auch nichts an der sozialen Ungleichheit. Die wirtschaftliche Freiheit des Einzelnen wird gewährleistet und das Wirtschaftsleben habe sich nach den Grundsätzen der Gerechtigkeit mit dem Ziel eines menschenwürdigen Daseins für alle verpflichtet zu fühlen. „Eigentum verpflichtet. Sein Gebrauch soll zugleich Dienst sein für das Gemeine Beste.“
Andere Gesetze
Über die Verfassung hinaus gehören Gesetze und Verordnungen zu den Errungenschaften der Revolution, die die Arbeitsbeziehungen und -bedingungen regeln.
• Beseitigung der Gesindeordnung
• Einführung der Arbeitszeitverordnung, einschließlich der Einführung des Achtstundentages
• Anerkennung der Gewerkschaften als Vertreter der abhängig Beschäftigten. Verbot „gelber Gewerkschaften“
• Tarifvertragsverordnung: der Tarifvertrag hat Vorrang vor einem Einzelarbeitsvertrag
• das Betriebsrätegesetz mit Festlegung zur Einrichtung von Betriebsräten
• Einführung von Erwerbslosenfürsorge und Arbeitslosenhilfe
• Kündigungsschutz, Arbeitsschutzbestimmungen, Mutterschutz
Ein Hindernislauf
Die Errichtung einer neuen Gesellschaft war nicht ohne Hindernisse und Rückschläge zu bekommen. Eines der Kernprobleme bestand im Mangel an neuen Demokratiemodellen, in denen die Räte den entscheidenden Dreh- und Angelpunkt bilden sollten. Es gab bislang kein erfolgreiches und überprüfbares Vorbild für solch eine Regierungsform, und die Befürworter befanden sich in der Minderheit. Während der Kriegszeit unter Pressezensur, Verboten und Einberufungen war es nicht möglich, ein zukünftiges Konzept der politischen Umwandlung vom Kaiserreich in eine Demokratie zu entwickeln.
Auch die nach wie vor nicht überwundene Spaltung der Arbeiterbewegung in Kriegsbefürworter und Kriegsgegner setzte sich nun weitgehend fort in einer Spaltung in Anhänger des Parlamentarismus und Anhänger der Rätedemokratie. Viele Anhänger der Sozialdemokratie vertrauten der Regierungs-SPD, die von vielen Proletariern nach wie vor als die Partei der Arbeiter angesehen wurde, nach dem Motto „Jetzt wird doch noch alles gut“ und setzten ihre Hoffnungen in den parlamentarischen Weg unter Führung der SPD.
Als der im Dezember 1918 in Berlin zusammengetretene Reichs-Rätekongress sich – mit überwiegender Mehrheit – für die Wahl zu einer verfassungsgebenden Nationalversammlung entschied, betrieb er damit seine eigene Entmachtung. Die Weichen in Richtung bürgerlich-parlamentarischer Demokratie waren gestellt.
Die Reaktion: das Rad wieder zurückdrehen
Reichswehr und die ihnen verbundenen Freikorps erhielten freie Hand, die revolutionären Aktionen mit militärischer Gewalt zu unterdrücken, was in der Ermordung der Reichstagsabgeordneten Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg seinen Ausdruck fand und später in der militärischen Belagerung Braunschweigs und anderer Städte durch General Maercker. Diese Politik „rettete“ den alten Eliten ihren dominierenden gesellschaftlichen Einfluss in der neuen Republik.
Auch die Unternehmer versuchten mit allen Mitteln, das Rad wieder zurückzudrehen. Es gelang ihnen auch, viele Reformen in der Arbeitswelt wieder ein Stück zurückzuschrauben, aber sie konnten das Erreichte nicht wieder ganz aus der Welt schaffen.
Unerfüllte Forderungen
Weitergehende Ziele der Novemberrevolution, die engagierte Teile der Arbeiterbewegung formuliert hatten, konnten nicht verwirklicht werden:
• die umfassende Sozialisierung wirtschaftlicher Schlüsselbereiche der Gesellschaft, wie die Enteignung von Großbanken, Großindustrie, zunächst vor allem der Energie- und Grundstoffindustrie, und adeligem Großgrundbesitz
• die Demokratisierung des Militärwesens, Beseitigung des Militarismus
• Forderung nach Entwicklung und Umsetzung sozialistischer Konzepte
Baustelle Demokratie
„Baustelle Demokratie“ meint, dass die Demokratie, die hierzulande eine parlamentarische und somit repräsentative ist, keineswegs ein vollendetes „Haus“ darstellt. Es besteht ein – mehr oder weniger – starkes Fundament, ein – wie auch immer – starkes Mauerwerk, aber fertiggestellt ist das Haus noch lange nicht. Und auch wenn das Dach, das Treppenhaus oder die Türen und Fenster noch gebaut werden können, die unvollendeten und schwächsten Stellen führen bereits zum Unbehagen und können die Sollbruchstelle für den späteren Einsturz bilden.
Die bitterste Erfahrung in der deutschen und europäischen Geschichte ist die Zerstörung der Weimarer Demokratie, die erste und im Fundament bereits beschädigte Demokratie-Baustelle, und der Sieg des Faschismus sowohl als gesellschaftliche Bewegung als auch als staatliche Macht.
Solange Gesellschaftsmitglieder ungerecht behandelt werden, ihre materielle und soziale Existenz gefährdet ist oder ihre persönliche Entfaltung aufgrund von Armut, mangelnder Bildung oder rassistischer Verfolgung scheitert, ist nicht nur der Bau der Demokratie unvollendet, sondern auch das begonnene Haus stets einsturzgefährdet.
Ist es denn ein „Haus“, das auf dieser Baustelle entsteht? Oder ein Tunnel, eine Fabrik, eine Autobahn, ein Flughafen? Doch, es ist ein Haus – das Haus, in dem wir zusammen wohnen.