10. November 1918

Bildung einer reinen USPD-Regierung durch den AuSR (die Spartakusanhänger sind zu der Zeit noch USPD-Mitglieder).

An diesem Tag, einem Sonntag, findet am Vormittag eine weitere Großkundgebung auf dem Schlossplatz statt, wo Carl Eckart und Wackwitz zu den Versammelten sprechen. Im Anschluss daran zieht ein daraus gebildeter Demonstrationszug zum Eiermarkt, wo der AuSR im Landtagsgebäude seine Sitzungen abhält, womit auch das Parlament dem AuSR unterstellt wurde.

Den vor dem Landtagsgebäude Versammelten ruft Sepp Oerter zu, dass „Am heutigen Tage … das Volk durch seine Vertreter, den Arbeiter- und Soldatenrat, von diesem Haus Besitz ergriffen“ habe. Anschließend proklamiert – in Anlehnung an Karl Liebknechts Rede in Berlin tags zuvor – der Vorsitzende des Arbeiter- und Soldatenrates, Emil Schütz, die „Sozialistische Republik Braunschweig“.

Enthusiastisch verkündete der „Volksfreund“ in einer Extraausgabe „An Alle!“ am selbigen Tag: „Nachdem durch die Tat der Arbeiter und Soldaten das Machtinstrument der herrschenden Klasse – der Militarismus – zerbrochen worden ist, ist die Bahn frei geworden für die Freiheit und das Recht. Auf dem Wege zur vollen Demokratie und zum Sozialismus ist kein Hindernis mehr, keine Gewalt kann die Demokratie und den Sozialismus aufhalten.“

Auf der Nachmittagssitzung des AuSRs wurde August Merges auf Vorschlag von Sepp Oerter zum Präsidenten der neuen Republik gewählt. Die Wahl zum Vorsitzenden des AuSRs fiel auf Emil Schütz („Husaren-Schütz“). Die Regierungsgeschäfte erfüllte ein vom Arbeiter und Soldatenrat gebildeter „Rat der Volkskommissare“, dessen Vorsitz Sepp Oerter einnahm, dem zugleich die Ressorts Inneres und Finanzen oblagen.

Braunschweigische Landesregierung 10.11.1918 – 18.02.1919 –
Rat der Volkskommissare
99 Tage im Amt / Ende durch Rücktritt

August Merges Präsident
Sepp Oerter Vorsitzender
Gustav Rosenthal Rev Verteidigung
Michael Müller Handel und Verkehr
August Junke Rechtspflege
Gustav Gerecke Ernährung
Karl Eckart Arbeit
Minna Faßauer Volksbildung
August Wesemeier Stadt Braunschweig
  • Mit Minna Faßauer bekleidete erstmals eine Frau das Ministeramt eines Landes in Deutschland.
  • Aufruf des AuSR an all Beamten, auf ihren Posten zu bleiben und ihre Pflicht zu versehen.
  • Überführung der Domänen und Güter in das Eigentum der Sozialistischen Republik Braunschweig.
  • Ankündigung von Wahlen zur Landesversammlung (analog zur Nationalversammlung auf Reichsebene).
  • Aufhebung der geistlichen bzw kirchlichen Schulaufsicht.
  • Erlass der Regierung über eine weitestgehende Amnestie.
  • In Braunschweig wurde der „Rat der selbständigen Gewerbezweige“ gegründet, um gegenüber der Revolutionsregierung eigene Interessen wahrzunehmen.

 

09. November 1918

Aufstellung einer „Roten Garde“ zum Schutz der Revolution

Unter der Leitung von Sepp Oerter hatte der AuSR einige Honoratioren der Stadt Braunschweig festgenommen, darunter den verhassten Leiter der politischen Polizei. Matrosen bewachten die Gefangenen im Schloss. Polizeidirektor v.d. Busch, Polizeihauptmann Münchhausen und Polizeikommissar Lages wurden ihrer Ämter enthoben und in den Ruhestand versetzt. Neuer Polizeichef wurde der Dreher Heimbert Tappe, ein Arbeiter aus der Firma Büssing; zum Polizeihauptmann ernannte der Arbeiter-und Soldatenrat den Schlosser  Friedrich Kirchner.

Auf dem Schlossplatz hielt August Merges eine Rede, in der er vor der Gefahr der Konterrevolution warnte. Er forderte die Einsetzung eines Exekutivkomitees zum Schutz der Revolution.

Auch in den Städten des braunschweigischen Landes versammelten sich Tausende, um das Ende des Krieges und des wilhelminischen Polizeistaates zu erleben: so in Bad Harzburg vor dem Kurhaus, in Helmstedt auf dem Holzmarkt, in Wolfenbüttel auf dem Stadtmarkt.

08. November 1918

Früh morgens mit Schichtbeginn waren Soldaten der Fliegerersatz-Abteilung 7 (FEA 7) und Arbeiter zu den Betrieben unterwegs, um die Arbeiterschaft in möglichst vielen Betrieben über Aktionen und den Beschluss zur Arbeitsniederlegung zu informieren. Gegen 7 Uhr zogen die Arbeiter und Soldaten zum „Volksfreund“. Dort besetzte eine Gruppe Bewaffneter unter Führung von August Merges das seit April 1917 von der MSPD beanspruchte „Volksfreund“-Gebäude, „um das der Braunschweiger Arbeiterschaft im April 1917 geraubte Eigentum durch einen revolutionären Akt zurückzuerobern“ (Merges), und verschaffte so den Unabhängigen Sozialdemokraten mit der dort erscheinenden Zeitung ein eigenes Sprachrohr.

Anschließend zog ein großer Demonstrationszug zu der Husaren- und Infanteriekaserne, wo die dort noch befindlichen Soldaten zum Anschluss zu bewegt wurden. Die Demonstration endete auf dem Schloßplatz, wo sich mehrere tausend – rund 20.000 – Menschen versammelt hatten. Während August Merges gegen 10 Uhr gerade von einem Balkon zur Menge sprach, wurde gleichzeitig auf dem Schloss die Rote Fahne gehisst (ebenso eine auf dem Polizeipräsidium in der Münzstraße).
Merges forderte am Schluss seiner Rede die Soldaten auf, unverzüglich die Wahl von Räten vorzunehmen. Während die Soldaten der Fea 7 daraufhin noch auf dem Schlossplatz einige Genossen in den Soldatenrat wählten versammelten sich die Infanteristen und Husaren im Wilhelmsgarten, wo sie ebenfalls ihre Mitglieder für den Soldatenrat wählten. Merges beschreibt, dass die Zahl der zuerst gewählten Soldatenräte anfangs nicht einheitlich erfolgte, so dass der Soldatenrat nach den Wahlen 18 Soldaten umfasste und der Soldatenrat nachträglich um weitere Mitglieder erweitert wurde. Im Anschluss an die Wahl kamen die Arbeiter- und Soldaten-Räte zu einer gemeinsamer Sitzung zusammen, die nach einigen Stunden in die Vendomekaserne verlegt wurde und bis Sonntag, den 10.
November, abwechselnd in Permanenz tagte.
„Der wichtigste und einstimmig angenommene Beschluß“ des Arbeiter- und Soldaten-Rates auf  einer Sitzung am 8. November – so August Merges – „war die Aufforderung an den Herzog Ernst August, auf den Thron zu verzichten, und sofort mit diesem Auftrag eine Deputation von je 3 A.- und S.-Räten ins Herzogliche Schloss zu entsenden: Hermann Meier, Hermann Schweiss und Friedrich Schubert
vom Soldatenrat sowie August Merges, Paul Gmeiner, Henry Finke vom Arbeiterrat.“ Während sich die sechsköpfige Deputation des Arbeiter- und Soldaten-Rates zum Schloss begab, wartete vor der herzoglichen Residenz eine Ansammlung von rund 20.000 Menschen, die auf das Ergebnis warteten. Nach Verlauf von 25 Minuten verzichtete abends 6 Uhr der Herzog für sich und seine Nachkommen auf den Thron. Seine Entscheidung zum Thronverzicht wurde offenbar durch ein in der Beratungszeit eingelaufenes Telegramm – ergänzt durch einen Berichtes des Garnisonältesten, wonach Widerstand zwecklos sei –, beflügelt worden. Darin wurde ihm mitgeteilt, dass Wilhelm II. soeben die holländische Grenze überschritten hätte. Mit dem Thronverzicht des Herzogs erfolgte außerdem der Rücktritt der Staatsminister (Karl von Wolff, Robert Boden, Hugo Krüger), die der abdankende Herzog von ihren Dienstpflichten entband. Die Abdankung, die sich der Arbeiter- und Soldaten- Rat durch den Herzog unterzeichnen ließ, wurde noch am selben Abend vor den 20.000 auf dem Schlossplatz wartenden Bürger*innen verlesen.

©Stadtarchiv Braunschweig

 

03. November 1918

Die MSPD organisierte im Wilhelmsgarten eine Veranstaltung, auf der der Reichstagsabgeordnete Gustav Noske (MSPD) zu den Versammelten über das „neue Deutschland“ sprach, indem er eine Demokratisierung durch eine neue Verfassung, die grundlegende Reformierung des Wahlrechts und die Errichtung eines Strafgerichtshofs, um die für den Krieg Verantwortlichen anzuklagen, in Aussicht stellte, im weiteren ebenso gegen das „bolschewistische Chaos durch Entfesselung des Bürgerkrieges“ Stellung nahm. Außerdem müsste der Kaiser zurücktreten (BLZ 03.11.1918). (Unmittelbar nach seiner Rückkehr nach Berlin ließ ihn Ebert am Tag darauf nach Kiel reisen, um den Matrosenaufstand unter Kontrolle zu bringen).

Die USPD organisierte am selben Tag (03.11.) eine Versammlung auf dem Leonhardplatz, auf der der gerade aus der Haft entlassene Reichstagsabgeordnete Karl Liebknecht (USPD und Spartakusmitglied) sprechen sollte. Aufgrund der Ereignisse in Kiel reiste Liebknecht zur Marinestadt, so dass war August Merges als Sprecher der USPD / Spartakus auftrat. Merges verkündete vor mehreren tausend Zuhöhrern, dass die „Übernahme der Macht durch die Klasse der Werktätigen“ unmittelbar bevorstünde und fügte hinzu: “Vielleicht in den nächsten Tagen wird man euch wieder gebrauchen. (zit.n. Bein, Herzgtm, 238)

Augenzeugenbericht:

„Und 8 Tage bevor es hier losging, den Sonntag zuvor, das muss ich noch erzählen. Das war auch sehr schön. Da kam also eines Abends August Merges zu mir, ich weiß nicht mehr wo wir uns getroffen haben, – sagt der: du musst morgen früh um 9 Uhr, da musst du auf der Kuhstraße sein bei dem Pferdehändler da. Ja, ist gut. Wurde nicht gefragt: warum? weshalb? wieso? Da war irgendwas im Busch. Komme da hin; August Merges ist schon da. Und da verhandelt der schon mit dem Pferdehändler, dass er einen Breakwagen [Kutschenart] kriegt und ’nen Gaul davor. Also da sollte dann die große Versammlung, die öffentliche Versammlung auf dem Leonhardtsplatz steigen. Da sollte auch Karl Liebknecht sprechen. Und August zu mir: du setzt dich jetzt auf den Kutschbock und fährst mich nach dem Leonhardtsplatz. Der Breakwagen, der sollte nämlich die Rednertribüne werden. Ich sage: Mensch August! Ich habe noch nie Pferdezügel in der Hand gehabt. Setz dich man da drauf. Der Pferdehändler: ach, das ist ein treues Tier, da können Sie ruhig mit losfahren; rechts und links kennen Sie ja, nicht wahr, dann ziehen Sie rechts oder links, wo er hin soll. Ist gut. (…) Wir kamen dann von der Kastanienallee über Altewiekring zum Leonhardsplatz: eine Riesenmenschenmenge da. Oh, sagt August, sind ja ein paar Leute da. Aber leider – Robert Gehrke, der funktionierte damals als Kurier immer zwischen Berlin und Braunschweig vom Spartakusbund. Der kam mit dem Bescheid, dass also Karl Liebknecht nicht kommen kann, weil er dringend in Berlin gebraucht wird. Wir hatten Verständnis dafür. Das war natürlich ein bißchen enttäuschend für die Versammlungsteilnehmer, aber es wurde ihnen dann erklärt. Na ja, sie waren zufrieden und dann hat August Merges referiert. Und das war der eigentliche Auftakt; also die Bereitschaft, diese kommenden Ereignisse nun als gegeben zu betrachten, das war gut für uns, für die ganze Stimmung. Die wussten also, das muss jetzt irgendwie vorbei sein.“

Wilhelm Hillger (in: Braunschweig 1918. Illustrierte Zeitung zur Geschichte der Braunschweiger Arbeiterbewegung, HBK 1978)