SOZIALISTISCHE REPUBLIK BRAUNSCHWEIG
Durch den Bankrott des kaiserlich-monarchischen Herrschaftssystems sieht sich die Arbeiterbewegung vor die Aufgabe gestellt, eine neue Ordnung zu errichten. Am 10.11.1918 wird in Braunschweig die erste Regierung gebildet, es folgen Gesetze und Anordnungen, um die Ziele der Revolution umzusetzen und eine direkte Demokratie aufzubauen. Darüberhinaus gibt es viele Aufgaben zu meistern, die vor allem auch durch die Kriegsfolgen, die Rückkehr der Soldaten von der Front, die Umstellung der Wirtschaft und die mangelhafte Versorgungslage entstanden sind.
Es gibt jedoch auch konträre politische Kräfte, die durch die Revolution ihre eigenen Interessen bedroht sehen. Und auch unter denjenigen, die für die Demokratie eintreten, herrschen unterschiedliche Vorstellungen über den richtigen Weg.
Die ersten Gesetze und Maßnahmen
Innerhalb von wenigen Tagen und Wochen erlässt die erste Regierung der Novemberrevolution in Braunschweig 8 Gesetze.
Es wird die Durchführung von Wahlen zur Landesversammlung angekündigt, um den Prozess der Demokratisierung voranzubringen.
1. Demobilmachungsgesetz: Sicherstellung der Rückkehr und Entlassung der Soldaten von der Front, Umstellung der Kriegswirtschaft auf Friedenszeiten
2. Gesetz über die Arbeiter-und Soldatenräte, das als deren Aufgabe bestimmt, die „Durchführung der sozialistischen Revolution vorzubereiten und zu überwachen.“ Außerdem wird genau festgelegt, wie und wieviele Räte zu wählen sind.
3. Gesetz über die Weitergeltung der bisherigen Landesgesetze und Einrichtungen, um die alltagsnotwendigen Abläufe sowie Rechtssicherheit zu gewährleisten. Alle Beamten sind aufgerufen, auf ihren Posten zu bleiben und ihre Pflicht zu versehen, für die neue Räteregierung.
4. Gesetz über die Bildung der Roten Garde. Die „Rote Garde“– später in „Volkswehr“ umbenannt – besteht aus Freiwilligen. Sie soll die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrechterhalten und die Revolution verteidigen. Sie unterstützt auch die Patrouillen der Polizei. Um Plünderungen, Hamsterei und Wucher vorzubeugen, werden alle zuvor entlassenen Polizeibeamte wieder eingestellt.
5. Gesetz über Volksstandgerichte. Diese „Gerichte“ werden jedoch nie einberufen.
6. Gesetz über die Neuordnung der Volksschulaufsicht. Die Schulen werden von der kirchlichen Schulaufsicht und Weisungsbefugnis befreit.
7. Gesetz über Enteignung von Grundeigentum für Notstandsarbeiten. Dadurch sollen für Erwerbslose, vor allem ehemalige Soldaten, Arbeitsmöglichkeiten geschaffen werden. Die Domänen und Güter, die vorher im Besitz des Herzogs waren, gehören jetzt der Republik Braunschweig. Es gibt Ideen, dieses Land genossenschaftlich zu bewirtschaften.
8. Gesetz über den Austritt aus der Kirche. Damit wird der Kirchenaustritt erleichtert und die Trennung von Staat und Kirche eingeführt.
Revolution und Konterrevolution
Politische und militärische Akteure rufen die Bevölkerung zur Beteiligung an freiwilligen Korps auf. Der Arbeiter- und Soldatenrat wendet sich vehement dagegen und warnt vor einem Bürgerkrieg. In Berlin werden am 15. Januar 1919 Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg, die beiden einflussreichen Vertreter der linken Fraktion der Arbeiterbewegung, von Freikorps-Soldaten ermordet, die im Auftrag der Regierung Ebert und Noske als „Sicherheitsexperten“ tätig waren. 30.000 Menschen versammeln sich daraufhin in Braunschweig zu einem Demonstrationszug.
Die Räterepublik Braunschweig und das Landesparlament
Innerhalb der Arbeiterbewegung gibt es unterschiedliche Auffassungen über die nächsten Schritte und die Gestaltung der Demokratie. Der bereits im Dezember 1918 neu gewählte Braunschweiger Landtag wird im Februar 1919 schließlich einberufen. Die USPD hat hier nur 14, die MSPD 17 von 60 Sitzen erlangt. MSPD und USPD einigen sich auf eine Koalition. Sie verabschieden die vorläufige Verfassung, die dem Arbeiter- und Soldatenrat lediglich ein Veto- Recht im Konfliktfall einräumt, worüber dann in einem Volksentscheid abzustimmen wäre. Damit besteht in Braunschweig eine Art politischer „Doppelherrschaft“: zum einen die auf Basis der Landtagswahlen gebildete Regierung aus aus je 4 Vertretern von SPD und USPD, zum anderen der Landesarbeiterrat.
Aus Sorge vor einem weiteren Erstarken der konservativen Kräfte und Verlust des bisher Erreichten stimmt Sepp Oerter (USPD) diesem Modell zu. Heinrich Jasper (MSPD) wird zum neuen Präsidenten der Republik Braunschweig gewählt.
Radikalisierung für die Räterepublik
Im März 1919 unternehmen Mitglieder von Spartakusbund und USPD weitere Anstrengungen für eine „Sozialistische Braunschweiger Räterepublik“. Eine Urabstimmung ergibt bei schwacher Beteiligung eine knappe Mehrheit für die Räterepublik. Bei den Wahlen zum Landes-Arbeiterrat, der von allen produktiv Tätigen ab 20 Jahre gewählt wird, erhält die USPD 42 Sitze, MSPD 20, DDP 2 und BLW 2 Sitze.
Die Auseinandersetzungen um die Frage nach Parlamentarismus oder Räterepublik führen zu einer weiteren Aufspaltung der Sozialisten. Im März gründet sich eine braunschweiger Ortsgruppe der KPD.
Am 09.04.1919 rufen die Spartakisten auf dem Schlossplatz den Generalstreik aus. Ziel ist der Sturz der braunschweigischen Koalitionsregierung und die Errichtung einer Räteregierung.
• Alle Macht den Arbeiterräten
• Absetzung der „Mörder-Regierung“ Ebert/Scheidemann
• Anschluss an die Russische Räterepublik
• Auflösung der Nationalversammlung und sämtlicher Landesversammlungen
• Bewaffnung der Arbeiterschaft
• Befreiung aller politischen Gefangenen
• Sofortige Sozialisierung durch Einführung von Betriebsräten
• Auflösung aller Freikorps
• Schaffung eines Volksheeres
Das Ende der Räterepublik in Braunschweig
Das Braunschweiger Bürgertum antwortet auf den Generalstreik mit umfassenden Boykottmaßnahmen. Die Reichsregierung verhängt den Belagerungszustand über Braunschweig. Am 17.04.1919 wird Braunschweig durch das Freikorps von General Maercker besetzt. Der Arbeiter- und Soldatenrat Braunschweig leistet keine Gegenwehr – in anderen Städten kommt es hingegen zu blutigen Auseinandersetzungen.
Obwohl die braunschweigische Landesregierung die Beendigung der Streiks erreicht hatte, wird sie von der Reichsregierung abgesetzt. Der Landtag wählt eine neue Regierung.
Auf Reichsebene sind die Weichen bereits früher gestellt worden. Im Dezember 1918 stimmt der erste Reichsrätekongress für eine Wahl zur Nationalversammlung und nicht für ein Rätesystem als Grundlage der Verfassung. Damit hatten sich die Räte praktisch selbst entmachtet.
Die drei Delegierten aus Braunschweig, der Vorsitzende des Arbeiter- und Soldatenrats Emil Schütz, der 31jährige Wilhelm Reupke aus Bad Harzburg und der 63jährige Zigarrenfabrikant Heinrich Wassermann aus Schöningen, alle USPD, hatten gegen die Einberufung einer Nationalversammlung gestimmt.
Die Nationalversammlung wird im Januar 1919 gewählt und tritt in Weimar zusammen, wo sie am 31.07.1919 die Weimarer Verfassung verabschiedet.
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